Kein Spiel ist wohl besser geeignet als das Heimspiel gegen Aachen (27. Februar 2012), um auf eine Problematik aufmerksam zu machen, von der wir alle dachten, dass sie sich – bis auf bekannte Härtefälle – weitestgehend erledigt hätte. Die Neonazis kommen zurück. Zwar waren sie nie wirklich weg, auch bei Fortuna nicht. Aber dass sie 2012 gleich in mehreren Städten wieder so offen auftreten und ihren Rassismus und Menschenhass ungestraft verbreiten können, schien vor einigen Jahren ausgeschlossen. Aber die Realität sieht nun mal so aus.
Ob in Aachen, bei beiden Münchner Vereinen, in der West-Neonazi-Hochburg Dortmund, in Bremen, in Rostock, in Lübeck oder Braunschweig – überall dort gab es in der jüngeren Vergangenheit wieder Aufsehen um Neonazis. Diese gehören nicht nur wie selbstverständlich zu den jeweiligen Fanszenen, sie treten dort auch offen als Faschisten auf und werden vom Rest stillschweigend hingenommen oder sogar begrüßt. Es geht ja schließlich um Fußball, nicht um Politik, da kann man jeden gebrauchen.
Nun lässt es sich der nette Fascho von nebenan aber in der Regel nicht nehmen, auch inhaltlichen Einfluss auf die gesamte Szene haben zu wollen. Das geschieht im ersten Moment nicht gleich offen durch gern so bezeichnete “Affenlaute” (sobald ein dunkelhäutiger Spieler des Gegners den Ball hat), Hitlergrüße im Stadion oder Hakenkreuz-Fahnen an den Zäunen. Das fängt gewöhnlich ganz harmlos an, indem aktive und alternative Fankreise angegangen werden. “Politik raus aus dem Stadion”, lautet die Parole, die im ersten Moment auch völlig richtig erscheint. Schließlich sind wir beim Fußball, hier geht es um das Spiel auf dem Rasen und die Unterstützung auf den Rängen. Alles korrekt, keine Frage – zumindest in der Kreisliga.
Leider sind wir aber nunmal im Bereich des Profifußballs, der vermutlich das wichtigste gesellschaftliche Ereignis der Welt darstellt. Dementsprechend groß ist der Einfluss der Institutionen und politischen sowie wirtschaftlichen Systeme auf den Sport an sich und unser spezielles Ultrá-Dasein. Politik und Polizei setzen die “sicherheits”relevanten Rahmenbedingungen fest. Politik und Industrie finanzieren und bauen Stadien. Über Vermarktung und Sponsoring pumpt die Industrie Kohle in den Spielbetrieb, der durch Verbände und Vereine organisiert wird. Die Medien halten das öffentliche Interesse immer weiter am köcheln – selbst in der Sommerpause. Und gemeinsam mit Vereinen und Verbänden erheben sie sich selbst Tag für Tag zur moralischen Instanz, sobald etwas nicht nach Wunsch läuft.
Man könnte die Liste noch beliebig erweitern und zeigen, dass unser ganzes politisches und wirtschaftliches System mit dem Profisport verhaftet ist und dass es beim Fußball um weit mehr geht als die Frage, welche zweier Fußballmannschaften den Ball häufiger in das gegnerische Tor schießt. Würden Millionen Menschen die Ergebnisse dieser für die meisten völlig anonymen Fußballer da unten auf dem Platz sonst so bewegen? Würde sonst jedes Staatsoberhaupt bei WM-Spielen blöd aus der VIP-Box grinsen? Gäbe es sonst eine so genannte Sicherheitskonferenz mit dem Innenminister?
Nein, Fußball ist fest verankert im Unterhaltungsbetrieb der Gesellschaft und darauf ausgelegt, dass sich einige wenige damit bereichern und der Staat sein Volk beschäftigt weiß. Da wir Ultras uns aber nun mal auf die Fahnen geschrieben haben, die Veränderungen der vergangenen Jahre, die sich zu 99 Prozent nur nach den Wünschen von Politik, Polizei, Industrie und Medien richten, aufzuhalten und ihnen entgegenzusteuern, ist es unsere Aufgabe, immer wieder auf Missstände aufmerksam zu machen, das Maul aufzureißen und mit unseren Mitteln dagegen zu kämpfen. Wenn man so will: politisch aktiv zu sein, was natürlich gar nichts mit Parteien oder einer bestimmten, festgefahrenen politischen Richtung zu tun hat.
Als aktives Mitglied der Fanszene ist man automatisch politisch. Jede unserer Aktionen, jedes Spruchband, jede Choreo, jede Stellungnahme, jeder Newsletter, jedes Info. All das sind politische Taten. Weil sie für Veränderungen stehen. Weil sie ein kleiner Teil des großen Kampfes sind. Wir sind nicht die, die einfach zum Spiel kommen, sich hinsetzen und auf ein schönes Spiel in der Heizstrahler-erwärmten Arena freuen. Schon unsere Zaunfahne symbolisiert das: ULTRAS. Diese sechs Buchstaben stehen für den Gegenentwurf des modernen Fußballs. Wir wollen keinen Fußball für die Oberschicht, kein Hochsicherheits-Event, kein mit Werbung zugeballertes Rahmenprogramm. Um es platt zu sagen: Wir wollen Fußball für alle mit dem größtmöglichen Maß an Freiheit.
Da ist es nur völlig logisch, dass wir niemanden ausschließen wollen. Alle sind willkommen, solange sie Fortuna im Herzen haben und für die beiden zentralen Themen stehen: Freiheit des einzelnen und Solidarität aller.
Da kommt der gemeine Neonazi wieder ins Spiel. Dem gefällt das nämlich alles gar nicht. Der hat zwar auch keinen Bock auf Eventfußball, aber erst recht nicht auf Kanacken, Schwuchteln, Juden, Neger und Fotzen, um es mal in der Rhetorik der Gegenseite zu sagen. Und da die “Zecken” (= aktive Fans) meist die sind, die ihn bei der Diskriminierung stören, sind diese sein Hauptfeind Nummer eins. So wird die Parole “Keine Politik im Stadion” ganz schnell zum Angriff auf die Freiheit aller und somit vor allem der Minderheiten. Was natürlich nicht heißt, dass jede/r, der/die gegen Politik im Stadion ist, automatisch rechts ist.
Aber es ist schon auffällig, wie stark verbreitet diese Parole gerade bei rechten Personen und ganzen Gruppen ist. Selbst in den Songs von Neonazi-Bands wie “Kategorie C” hört man “Fußball bleibt Fußball, Politik bleibt Politik”. Die Idee dahinter: Der Kampf gegen Rechts ist Politik, die ja pauschal nichts im Stadion zu suchen habe. Eine perfide Verdrehung der Tatsachen. Denn genau die Gegenseite, die Neonazis, sind es, die Politik ins Stadion bringen wollen, um nach einem rassistischen Auswahlverfahren zu bestimmen, wer kommen darf und wer nicht.
Beispiele davon gibt es zu Hauf. In Rostock wollte sich eine Gruppe alternativer Fans in der Szene etablieren und wurde mit dem üblichen Verharmlosungs-Gequatsche, rechts sei gleich links, aus dem Stadion geboxt. Bei den Bayern gefiel den rechtsoffenen Hooligans die Freundschaft der Schickeria zu Sankt Paulis Ultras nicht und griffen bei einem Europapokalspiel an. In Bremen passierte dasselbe durch die teilweise offen rassistische Hooligangruppe Standarte gegenüber alternativen Ultras. In Braunschweig dasselbe Spiel, in Dortmund sind die Grenzen zwischen Hools, Ultras (vor allem Desperados) und rechten Gruppen in der Stadt ohnehin schon immer fließend gewesen. Bei 1860 geben ebenfalls Neonazis den Ton an. Von traditionell rechten Fanszenen wie Chemnitz, Halle, Lok Leipzig und BFC Dynamo Berlin gar nicht erst zu reden.
Das neueste Beispiel, dass es sogar bis in die Mainstream-Medien wie Spiegel und Süddeutsche Zeitung brachte, ist Aachen. Die dortige Jugendkultur ist ohnehin stark von Neonazis geprägt. Nun übertrug sich das auch offen auf den Fußball. Nach dem Bruch in der Ultrá-Szene zwischen Aachen Ultras und der neuen Karlsbande eskalierte es bei der Lesung des Autors Ronny Blaschke, der sein Buch über Neonazistrukturen im Fußball vorstellte. Nachdem rechten Mitgliedern der Karlsbande der Einlass verwehrt wurde, griffen sie beim nächsten Spiel die ACU an und verteilten für ein Auswärtsspiel gar Blockverbote an die Gegenseite. Wieder passierte alles unter dem Deckmantel des Unpolitischen. Die Rechten wollten ihren Hass einfach weiter verbreiten können und sich nichts sagen lassen. Wie klappt das besser, als den Kampf gegen rechts als Extremismus und Politik abzustempeln?
Das Problem ist also ernst, die Neonazis kommen wieder. Haltet sie auf, glaubt ihnen nicht ihre Lügen vom unpolitischen Fußball. Macht die Augen auf, protestiert, wo immer ihr etwas seht. Das muss niemand alleine machen, holt euch Verstärkung. Nur gemeinsam schaffen wir es, ein Klima der Toleranz und der Freiheit zu schaffen.
Kopfball Düsseldorf & Ultras Düsseldorf